Wie die Betonlobby gegen Holzhäuser kämpft

10. Februar 2021

Alle zwölf Sekunden wachsen in Deutschland genug Bäume für ein neues
Wohnhaus nach. Der Ökobaustoff wird immer beliebter – zum Ärger der
Konkurrenz.

Die meisten Häuser in Deutschland werden aus Zement und Stahl gebaut. Die
Materialien haben einen miesen Ruf, sie schädigen massiv das Klima. Zement
trägt rund acht Prozent zum gesamten CO2-Ausstoß weltweit bei, da der
Herstellungsprozess enorme Emissionen freisetzt; die Stahlerzeugung ist für weitere
sechs bis acht Prozent verantwortlich. Hinzu kommt noch Sand, der knapp wird
und dessen Abbau die Umwelt zerstört. „Das kann auf Dauer nicht der richtige
Weg sein“, sagt Baumanager Fabian von Köppen. „Holz hat hier Riesenvorteile.“

In diesen Wochen beginnen in der Hamburger HafenCity die Arbeiten an einem
Gebäude, das bald Deutschlands höchstes Holzhaus sein soll: mit 19 Stockwerken
und 128 Wohnungen zum Quadratmeterpreis von bis zu 14.000 Euro.

Die Nachfrage sei enorm, sagt Köppen, Geschäftsführer des Hamburger
Projektentwicklers Garbe, gut die Hälfte der Wohnungen sei schon reserviert.
Offenbar trifft das Unternehmen mit seinem 65-Meter-Objekt den Zeitgeist.
„Bislang haben die Menschen drauf geachtet, was sie essen oder wie sie
konsumieren“, sagt Köppen. „Jetzt achten sie auch darauf, wie sie wohnen.“

Der Hausbau mit Holz wird immer beliebter; in 25 Jahren hat sich der Anteil der
Einfamilienhäuser, die aus Fichte, Lärche, Douglasie oder Baubuche gefertigt
werden, in Deutschland auf 18,7 Prozent fast verdreifacht, wobei der Einsatz des
Naturstoffs im Süden stärker verbreitet ist als im Norden. Das Geschäft der
Handwerksbetriebe läuft prächtig, ihr Umsatz wuchs 2019 um sieben Prozent. Die
Betriebe sind gut ausgelastet.

Nun kommen immer mehr Aufträge für mehrgeschossige Häuser dazu. Überall in
Europa planen und errichten Investoren hölzerne Giganten. Ein Exemplar in Wien
ist 84 Meter hoch, eines in Norwegen misst gut 85 Meter, in Amsterdam werden
sogar 130 Meter angepeilt.

Dieser Aufschwung ist auch der Politik zu verdanken. In Brüssel mahnte EU-
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unlängst, Bauen müsse nachhaltiger
werden, und empfahl ausdrücklich, „organische Materialien wie Holz“
einzusetzen.

In Baden-Württemberg hat die grün-schwarze Landesregierung vor zwei Jahren
eine „Holzbau-Offensive“ beschlossen, dort sollen öffentliche Gebäude „so weit
wie möglich“ in Holz erstellt werden. Das schwarz-gelbe Nordrhein-Westfalen ist
mit einem „Aktionsplan proHolz.NRW“ gefolgt. Einige deutsche Städte weisen
sogar ganze Neubauviertel als Holzbausiedlung aus.

In Berlin sollen östlich des ehemaligen Flughafens Tegel bis Anfang des
kommenden Jahrzehnts rund 5000 Wohnungen entstehen, nach Senatsangaben
wird es das weltgrößte Holzbauareal, der Baustoff kommt aus den Wäldern
Brandenburgs. Wie in einer Dombauhütte soll es in Tegel demnächst zugehen,
schwebt den Stadtplanern vor.

München ist einen Schritt weiter. Gerade erst wurde auf einem ehemaligen
Kasernengelände, dem Prinz-Eugen-Park, eine „ökologische Mustersiedlung“
fertiggestellt, so die Eigenwerbung, fast 600 Wohnungen in Holzbauweise. Die
Investoren bekommen jedes Kilogramm nachwachsenden Rohstoff mit bis zu zwei
Euro gefördert, sofern er aus einem Umkreis von 400 Kilometern stammt. Das
Konzept soll wegweisend sein. Die Stadt will den Verkauf eigener Grundstücke
generell mit der Auflage verbinden, dass zur Hälfte Holzbauten errichtet werden.

Im Prinz-Eugen-Park werden nach Kalkulation der Münchner Stadtplaner rund
13.000 Tonnen CO2 im Holz langfristig gespeichert und gegenüber
herkömmlichen Massivbauten gespart. Am Lehrstuhl für Ressourceneffizientes
Bauen an der Ruhr-Universität Bochum haben Wissenschaftler ausgerechnet, dass
35 bis 56 Prozent weniger Treibhausgasemissionen entstehen, wenn ein
Einfamilienhaus aus Holz statt aus mineralischen Rohstoffen gebaut wird. Es sei
„eine massive Steigerung der Holzbauquote ab sofort notwendig, um die
Potenziale ausschöpfen zu können“, so das Fazit.

Holz glänzt nicht nur in der Ökobilanz gegenüber herkömmlichen Baumaterialien.
Es ist auch tragfähig und stabil. Es erzeugt ein angenehmes Raumklima und spart,
dank schlanken Zuschnitts, wertvolle Quadratmeter gegenüber der
Massivbauweise.

Die Arbeitsprozesse sind indes grundverschieden. Beim Holzbau passiert das
meiste nicht auf der Baustelle, sondern vorher in der Werkhalle, unabhängig von
der Witterung. „Wir haben den Arbeitsplatz von draußen nach drinnen verlagert“,
sagt Peter Aicher, Vorsitzender von „Holzbau Deutschland – Bund deutscher
Zimmermeister“.Dort bereiten die Handwerker komplette Wand- und Deckenelemente vor,
inklusive Fenstern und Dämmung. Auf der Baustelle werden die vorgefertigten
Teile bloß noch montiert. Alles muss exakt vorgeplant sein. Später lässt sich an den
Grundrissen kaum mehr etwas ändern.

Komplexer und damit langwieriger sind auch die Genehmigungsverfahren. Zwar
haben eine Reihe von Bundesländern ihre Bauordnung in den vergangenen
Jahren reformiert und Holzgebäude in Regelwerk einbezogen, allerdings
unterscheiden sich die Vorschriften von Land zu Land. Dadurch werden „gerade
für überregional tätige Akteure die Entwicklung standardisierter Lösungen und
Planungsprozesse erschwert“, kritisiert das Thünen-Institut, eine
Forschungseinrichtung des Bundes.

In der praktischen Auslegung variieren die Anforderungen sogar Amt zu Amt und
von Prüfer zu Prüfer. Mangels Erfahrung betrachtet mancher Beamte jeden
Einzelfall für sich, oft mit besonderer Vorsicht und extrastrengem Blick. Das gilt vor
allem für den Brandschutz.

Der Hamburger Baumanager Köppen will beim HafenCity-Projekt deshalb
deutlich mehr tun, als es die Vorgaben verlangen, und sogar eine Sprinkleranlage
einbauen. Solche Extras verteuerten den Bau, Köppen spricht von
„Angstzuschlägen“. Nach seiner Rechnung verursachen Holzkonstruktionen rund
zwölf Prozent höhere Kosten als Massivbauten.

Mit weniger Behördenaufwand und mehr serieller Vorfertigung indes ließen sie
sich unter das Niveau konventioneller Gebäude drücken.

Umso paradoxer wirkt es da, das Fachleute Holz im Brandfall bessere
Eigenschaften bescheinigen als Stahlbeton. Es büße im Feuer aufgrund der sich
schnell bildenden Holzkohleschicht kaum an Struktur und Tragfähigkeit ein,
während Stahlkonstruktionen schnell zusammenknicken könnten.

Abgesehen von dem höheren bürokratischen Aufwand hat der Holzbau noch mit
weiteren Hindernissen zu kämpfen. Den überwiegend familiären Kleinbetrieben
fehlt zuweilen die nötige Kompetenzbreite, von der Statik bis zum Schallschutz,
insbesondere bei mehrgeschossigen Bauten. Es mangelt der Branche an
Fachkräften, rund 150 Tage dauert es im Schnitt, eine Stelle zu besetzen. An den
Hochschulen spielt Holzbau bisher eine untergeordnete Rolle.

Den größten Gegenwind aber bekommt die Holzbaubranche derzeit von den
eigenen Kollegen, mit denen sie im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes
an einem Tisch sitzen. Die mächtige Lobby der Massivbauer macht gegen Sie
mobil, Zementhersteller, Betonwerke und Ziegeleien fürchten, Marktanteile zu
verlieren. Die Holzhandwerker sind ihre alten Verbündeten – ohne Bretterschalung
kaum eine Betonwand – und ihre neuen Wettbewerber.

Viele Verbände und Organisationen haben sich in Baden-Württemberg unter
dem Label „Solid Unit“ zusammengetan, sie werfen der Politik ein „Baustoff-Diktat“
vor. Und dass der Staat als Forstbesitzer, dem etwa die Hälfte des deutschen
Waldes gehöre, von der eigenen Förderpolitik profitiere, habe mehr als ein
Geschmäckle.

Sogar der ökologische Nutzen wird in Zweifel gezogen. Für Holzfertighäuser fehlten
umfassende Recyclingkonzepte, moniert Ronald Rast, Geschäftsführer der
Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau. Altholz werden
bislang überwiegend verbrannt, Holzhäuser enthielten zuweilen verklebte
Komponenten oder oft auch Dämmstoffe auf Erdölbasis. Dagegen würden
mineralische Rohstoffe im großen Stil recycelt und wieder verwendet. „Massivbau
ist in puncto Nachhaltigkeit absolut konkurrenzfähig“, sagt Rast.

Auf diese Debatte mag sich Holzbau-Deutschland-Chef Aicher nicht einlassen.
„Wir machen nicht andere Baustoffe schlecht“, sagt er.

Holz ist jedenfalls einer der wenigen Rohstoffe, mit denen Deutschland reichlich
ausgestattet ist. Die nationalen Vorkommen reichten für Jahrzehnte aus, um den
Extrabedarf für Holzbau zu decken, stellt der Wissenschaftliche Beirat für
Waldpolitik der Bundesregierung fest. Fast ein Drittel der Bundesfläche ist von Wald
bedeckt, es entsteht mehr, als genutzt wird. Alle zwölf Sekunden wächst rein
rechnerisch genug Material nach, um ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche
von 140 Quadratmetern zu errichten.